Aktuelles aus Erfurt – Zum aktuellen Stand bei Streit um Unbilligkeit von Arbeitgeberweisungen

Sebastian Wild

06.09.2017

In einer auch mit hoher medialer Aufmerksamkeit begleiteten Entscheidung hat der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts am 14. Juni 2017 darüber informiert, das er in dem von ihm zu entscheidenden Rechtsstreit zum Az. 10 AZR 330/16 von der bisherigen Rechtsprechung des 10. Senats abweichen und Arbeitnehmer von einer Verpflichtung zum Befolgen unbilliger Weisungen befreien möchte. Verschiedentliche Beiträge in Print- und Onlinemedien, welche den Eindruck einer bereits abschließend durch das Bundesarbeitsgericht getroffenen Entscheidung vermitteln und glauben machen möchten, dass Arbeitnehmer strittige Anweisungen nicht mehr befolgen müssten,  geben Anlass zu folgender Einschätzung.

 

Ausgangspunkt für die Entscheidung des Falls ist § 106 Abs. 1 GewO. Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.

 

Die zu beantwortende Fragestellung kann vereinfacht wie folgt formuliert werden: Was kann und darf ein Arbeitnehmer tun, der vom Arbeitgeber in unbilliger Weise entgegen § 106 Abs. 1 GewO angewiesen wird? Als Beispiel soll an dieser Stelle die Versetzung eines Mitarbeiters von München nach Hamburg dienen, der gleichzeitig in das Archiv des Unternehmens versetzt wird. Ist im Arbeitsvertrag in einem solchen Fall z.B. die Tätigkeit als Vertriebsleiter vereinbart, so dürfte eine solche Weisung in jedem Fall unbillig sein.

Nach der Rechtsprechung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 22. Februar 2012, Az. 5 AZR 249/11) trägt das Risiko einer solchen unbilligen Weisung allerdings der Arbeitnehmer. Befolgt er die (unbillige) Weisung des Arbeitgebers nicht und erscheint nicht zu dem durch den Arbeitgeber bestimmten Datum im Archiv, so sieht er sich – bei andauernder Weigerung – der Gefahr einer wirksamen verhaltensbedingten Kündigung ausgesetzt. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Frage der Unbilligkeit wäre der Arbeitnehmer in dem fiktiven Fall also verpflichtet, seine Arbeitsleistung im Archiv des Unternehmens in München zu erbringen. Selbst im Fall der „nachträglichen“ gerichtlichen Feststellung der Unbilligkeit bliebe eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses wirksam.

 

Von dieser häufig kritisierten Rechtsprechung möchte der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts (Rechtsstreit zum Az. 10 AZR 330/16) nun abweichen. Er vertritt die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer eine unbillige Weisung auch dann nicht befolgen muss, wenn keine rechtskräftige Entscheidung über die Frage der Unbilligkeit vorliegt. Der Arbeitgeber würde das Risiko des Annahmeverzugslohns tragen, da der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung aufgrund der Unbilligkeit der Weisung nicht verpflichtet wäre.

 

Entgegen dem durch verschiedene Presseartikel vermittelten Eindruck wurde in dem Fall selbst eine abschließende Entscheidung allerdings noch nicht getroffen, da wie geschildert beide Senate des Bundesarbeitsgerichts eine unterschiedliche Auffassung vertreten. Hält der 5. Senat auf eine Anfrage des 10. Senats an seiner Auffassung fest, so muss der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts (§ 45 Abs. 1 ArbGG) eine abschließende Entscheidung treffen.

Wie diese ausfällt, so sie denn überhaupt nötig ist, bleibt abzuwarten. Eines erscheint allerdings wahrscheinlich. Die Risiken, welche bei der notwendigen Abgrenzung zwischen unbilliger und billiger Weisung bestehen, bleiben für beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – auch in Zukunft erhalten. Will heißen: auch ein Arbeitnehmer, der sich gegen eine von ihm für unbillig gehaltene Weisung wehrt und mit dieser Begründung der Arbeit fernbleibt, muss im Fall der rechtskräftig festgestellten Billigkeit der Weisung mit den Konsequenzen leben. Wurde in einem solchen Fall durch den Arbeitgeber also zusätzlich eine – auch ansonsten nicht zu beanstandende – verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen, so verliert der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz. Damit werden aller Voraussicht nach auch in Zukunft die von einer mutmaßlich unbilligen Weisung betroffenen Arbeitnehmer sehr genau abwägen müssen, ob Sie der Weisung Folge leisten oder sich dieser durch Fernbleiben vom Arbeitsplatz widersetzen und damit ihr Arbeitsverhältnis riskieren.

 

Update:

 

Mit Antwortbeschluss vom 14. September 2017 hat der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts (Az.: 5 AS 7/17) erklärt, dass er an seiner bisherigen Auffassung nicht mehr festhalten und der Ansicht des 10. Senats folgen wird. Eine Entscheidung durch den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts ist damit nicht mehr notwendig. Ein Arbeitnehmer wird eine unbillige Weisung also auch dann nicht befolgen müssen, wenn über die Rechtmäßigkeit der Weisung noch keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt.

 

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